Im Sternbild der Jungfrau gibt es alljährlich im Frühjahr etwas Besonderes zu erforschen: Hier findet sich der unserer Milchstraße nächstgelegene große Galaxienhaufen, der sogenannte Virgohaufen. Ca. 55 Millionen Lichtjahre entfernt, beinhaltet er ca. 3000 Galaxien, von den kleinsten (Zwerggalaxien) bis hin zu den supermassiven elliptischen Galaxien. Ein solcher Galaxienhaufen besitzt auch eine große Menge sehr heißes Gas (10 Mio. K), welches folglich im Röntgenbereich sichtbar ist. Alle Galaxien des Haufens bewegen sich mit hoher Geschwindigkeit auf stark elliptischen Bahnen um das gemeinsame Gravitationspotenzial und tauchen dabei immer wieder mehr oder weniger nahe durch das Zentrum des Haufens, wo die Gasdichte des intergalaktischen Mediums am höchsten ist. Da dort nun auch die Dichte der Galaxien viel höher ist, erleiden eintauchende Galaxien zweierlei Effekte, welche sie auf Dauer in ihrer Struktur und ihrem Erscheinungsbild stark verändern: erstens erfahren Sie einen starken Staudruck, während sie sich durch das heiße Gas bewegen. Dabei kann ihr eigenes Gas (im wesentlichen neutraler und molekularer Wasserstoff) aus den Galaxien herausgedrückt werden. Sie werden somit gasarm – im Englischen spricht man von 'anaemic galaxies'. Zum zweiten laufen sie zwangsläufig dicht an anderen Galaxien vorbei, ja so dicht, dass es aufgrund der gegenseitigen Gravitation zu starken Gezeiteneffekten kommt. Dabei wird die Grundstruktur der Galaxien erheblich verändert. Sie werden verbogen und im Extremfall können Sie sogar mit der beteiligten Galaxie gravitativ verschmelzen. Wir sehen hier nun ein Foto der massivsten Galaxie in Virgohaufen, der elliptischen Galaxie NGC 4486 (M 87), aufgenommen mit einer Canon 1100Da am 8"-Maksutov-Newton-Teleskop bei ISO 800 mit einer Belichtungszeit von 2.9 Stunden. Sie befindet sich etwas südsüdwestlich des eigentlichen Haufenzentrums und besitzt im Zentrum ein supermassives schwarzes Loch von 4 Milliarden Sonnenmassen. Dieses stößt Düsenstrahlen (Jets) aus relativistichen Partikeln aus, welche Synchrotronstrahlung emittieren, die man vor allen Dingen im Radiobereich mit Radioteleskopen abbilden kann. Diese Synchrotronstrahlung des Jets von M 87 ist so intensiv, dass sie sogar im optischen Wellenlängenbereich sichtbar ist. Bei geringer Belichtungszeit oder entsprechender Einstellung der Bildtransferfunktion wird dieser Jet sichtbar (siehe Bild oben: der Jet zeigt in Richtung 2 Uhr) Der Gegeenjet ist nicht sichtbar, weil er durch den relativistischen Dopplereffekt stark abgeschwächt wird und nur im Radiofrequenzbereich sichtbar ist. Zu sehen ist hier ein kleiner Ausschnitt von etwa einem halben Grad Ausdehnung um das Zentrum dieses Haufens. In der rechten Bildhälfte sehen wir dasselbe Bild mit überlagerten Annotationen und Koordinaten. Die hellsten Objekte sind NGC4486 (M87), NGC4476 und NGC4478 südwestlich vom hellsten Objekt M87. Dieses ist die dominierende Galaxie im Virgohaufen. Sie ist ein gewaltiges Objekt mit über 2 - 3 Billionen Sonnenmassen. In ihrem Zentrum existiert ein schwarzes Loch mit einer Gesamtmasse von ca. 4 Milliarden Sonnenmassen. Das schwarze Loch bezieht sein “Futter“ dadurch, dass es immer wieder Zwerggalaxien verschluckt, die ihn zu nahe kommen. Das folgende Bild zeigt ein Gebiet im Zentrum des Virgogalaxienhaufens. Wir befinden uns hier etwas nordwestlich der aktiven Riesengalaxie M 87. Man erkennt eine Vielzahl von Objekten, allen voran die elliptischen Galaxien NGC4374 (M84) und NGC 4406 (M 84), sowie eine ganze Reihe von Spiralgalaxien und kleineren elliptischen Galaxien, die sich alle in dem starken Gravitationsfeld des Virgohaufen bewegen. Dabei werden manche Galaxien durch ihre nahen Passagen an anderen vorbei ziemlich stark verformt. Am besten sieht man das in der Galaxie NGC 4388 im Osten, wo eine nahestehende elliptische Galaxie diese ein wenig zerrupft hat. Gut zu erkennen sind dunkle Regionen ein wenig westlich des Zentrums von NGC 4388: hier handelt es sich um gewaltige Komplexe von Molekülwolken, die aufgrund der Gezeitenkräfte durch die andere Galaxie hervorgerufen wurden. In der unteren Bildhälfte wurden dem Astrofoto Koordinaten sowie Markierungen der wichtigsten Objekte in dieser Himmelsregion überlagert. Schauen wir uns einmal die hellsten Spiralgalaxien in diesem Feld an (man erkennt noch eine Vielzahl kleinerer Galaxien, entweder Zwerggalaxien oder sehr viel weiter entfernte, die nicht im Virgohaufen liegen).
Bewegen wir uns dabei von West nach Ost, also mit aufsteigender Zahl des NGC-Katalogs. NGC 4387 Ist eine elliptische Galaxie, genau wie die hellen Galaxien M84 und M 84. NGC 4388 ist eine sog. Edge-on Galaxie, also eine Galaxie, die man genau von der Kante her sieht. Schmalbandige Aufnahmen (z.B. in der Hα-Linie) zeigen 100.000 Lichtjahre große ausströmende Gaswolken. Man geht davon aus, dass sie durch das Auftreffen der Galaxie auf heißes intergalaktische Medium entstanden sind. NGC 4402 ist ebenfalls eine Edge-on-Galaxie, bei welcher der Staudruck dazu geführt hat, dass ihre Gasscheibe nach Norden (also hier im Bild nach oben) ein wenig hinaus gedrückt wird - sie bewegt sich folglich nach unten in Richtung des Haufenzentrums. Dies erkennt man ganz deutlich auf Aufnahmen, die mit dem Hubble-Teleskop gemacht worden sind. Hier im Bild fällt die gelblich orange Farbe der inneren Scheibe auf, die dadurch hervorgerufen wird, dass der Staub der Gasscheibe von einem sehr hellen Zentrum dieser Galaxie angeleuchtet wird – wir sehen das reflektierte Licht! NGC 4413 (sie hatte früher auch die Katalognummer NGC 4407, die nicht mehr verwendet wird) ist eine Balkenspiralgalaxie vom Typ SBab. Es handelt sich also um eine Frühtypgalaxie, bei welcher das Gas weitgehend verbraucht bzw. durch Staudruck aus der Galaxie entfernt wurde. NGC 4425 ist eine lentikuläre Galaxie vom Hubble-Typ SB0/a, also eine linsenförmige Galaxie. S0-Galaxien befinden sich im Übergang von Spiralen zu elliptischen und besitzen keinerlei neutrales Gas mehr, aus dem noch weitere Sterne gebildet werden könnten. Auch hier hat möglicherweise der Staudruck nach ein oder mehreren Durchläufen durch das Zentrum des Virgohaufen zu dieser Gasverarmung geführt.
Kommen wir nun zum vielleicht interessantesten Objekt in diesem fotografierten Feld im Zentrum des Virgohaufen. NGC 4438 befindet sich offensichtlich in enger Nachbarschaft und folglich in starker Wechselwirkung mit der elliptischen Nachbargalaxie NGC 4435. Man sieht hier sofort, dass die Galaxie sehr stark in ihrer Struktur gestört ist. Man sieht eine sehr ausgeprägte Gezeitenstruktur in der rerrupften Galaxienscheibe. Beobachtungen im Radiobereich zeigen, dass der neutrale Wasserstoff (den man in der 21-cm-Linie beobachtet) gegenüber der Galaxie nach Nordwesten (also hier im Bild nach rechts oben) verschoben ist. Dies kann möglicherweise durch die Wirkung des Staudrucks bei der Bewegung der Galaxie durch das Gas im Zentrum des Virgohaufen erklärt werden. Beobachtungen in der CO-Linie zeigen ebenfalls einen Versatz des molekularen Gases in westlicher oder nordwestlicher Richtung. Da aber Molekülwolken zu massiv sind, als dass sie der Staudruck signifikant wegbewegen könnte, sind hier wahrscheinlich Gezeitenkräfte ursächlich für diese Verschiebung. Man erkennt diese Molekülwolken übrigens sehr schön an ihrer Absorption, weil sie auch sehr viel Staub enthalten. Im kleinen Bild unten sehen wir NGC 4438 noch einmal als Ausschnitt aus dem großen Bild. Pfeile weisen auf die sehr dunklen Regionen hin, die sich westlich des Zentrums von NGC 4438 befinden (im Vollbildmodus erst richig sichtbar).
Der kurze Streifzug durch dieses zentrale Gebiet im Zentrum des Virgohaufens zeigt also eine Vielzahl von Wirkungen, denen Galaxien bei ihrem Tanz durch das Gravitationspotenzial eines solch massiven Galaxienhaufens unterliegen. Sie werden dabei transformiert, d.h. sie verwandeln sich ganz allmählich von gasreichen Spiralgalaxien mit Scheibenform hin zu gasarmen elliptischen Galaxien, in denen sich die Sterne auf zufällig angeordneten Bahnen so bewegen, dass die Scheibenform verloren geht. Die Verarmung des Gases wird durch den Staudruck bei der schnellen Bewegung (bis zu 1500 km/s) durch das dichtere intergalaktische Gas im Zentrum des Galaxienhaufens bewirkt, die Störung der Rotation und Umwandlung der Struktur der Galaxien ist eine Folge der vielfachen Gezeitenkräfte, die wechselseitig auf die Galaxien bei der Passage von Nachbargalaxien wirken. Das vorliegende Bild ist noch nicht sehr empfindlich belichtet, es bedarf noch weiterer Integration. Da das Sichtbarkeitsfenster des Virgohaufens wegen seiner niedrigen Deklination relativ klein ist, muss die nächste Beobachtung sehr wahrscheinlich bis zum kommenden Jahr warten.
lehrreicher Beitrag über den Virgohaufen. Man kann darüberhinaus sogar Kugelsternhaufen in M87 fotografieren (die hat über 13000 davon). Ich hab das im folgenden, stark kontrastverstärkten Bild mal so gemacht, daß etliche zwischen mag 19-22 blau umkringelt sind. Die mit dem grünen Quadrat werden unten mit ihren Werten eingeblendet. Es wurden nur solche ausgewählt, die bei NED als globular cluster gekennzeichnet sind und eine Angabe über die Helligkeit im Grünen haben. Man sieht außerdem, daß die Galaxie nicht kreisrund ist. Fernrohr war ein 16" RC, Kamera Nikon D7000a, 7 Bilder zu je 500 sek. Ist schon ein Wahnsinn, was heute so geht!